Jeremy Caplan
Daten, Digirati und die nächste Nachrichten-Ära
Die großen Veränderungen in den amerikanischen Newsredaktionen werden vor allem von Daten und Digirati[i] bestimmt. Nachrichtenorganisationen erkennen zunehmend, dass ein vielschichtiges und besseres Datenverständnis der Nachrichten-Community nötig ist, um Reformen bei Content, Serviceleistungen und Geschäftsmodellen umzusetzen. Damit das effektiv und effizient vonstatten geht, bedarf es zukunftsorientierter und technisch versierter Digirati-Teams.
Ob große Zeitungen wie die Washington Post, der Boston Globe und die New York Times oder auch neuere Nachrichtenunternehmen wie die Texas Tribune, DNAinfo und Voice of San Diego – verschiedenste Ansätze zur Nachhaltigkeit der Unternehmen haben sich rund um diese Merkmale entwickelt. Hunderte kleinerer Medienunternehmen ziehen ähnliche Schlüsse, auch wenn ihr Ansatz ein anderer als jener der großen Medienunternehmen. Egal ob groß oder klein, ob Fernsehen, Print, Digital oder eine Kombination aus Allem: Die Umsetzung von Reformen bei den Geschäftsmodellen erfordert in den Redaktionen experimentelles Mindset ebenso wie eine visionäre Führung, die zur Umsetzung langfristiger Veränderungen bereit ist, während doch viele nach schnellen Reparaturen der herkömmlichen Modelle rufen.
Daten werden zunehmend als wichtige Ressource in Nachrichtenredaktionen geschätzt. Viele Organisationen wie etwa die Texas Tribune zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Lesern verständliche Daten präsentieren. Rund ein Drittel des online traffics von Tribune ist auf ihre Daten-Seiten zurückzuführen, die alle möglichen Infos — von lokalen Gehältern bis zu Landkarten von Öl- und Gasfeldern — bieten. Aber woraus Nachrichtenorganisationen in Zukunft werden Kapital schlagen müssen, sind Datenbanken, die darüber Auskunft geben, wie ihr Publikum mit ihren und anderen Inhalten und Services interagiert. Leser mit gezielt und sorgfältig auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Inhalten und Services zu erreichen, wird dazu beitragen, dass sowohl für Inhalte wie für Werbung höhere Erlöse generiert werden können. Konsumenten zahlen für das, was am besten ihre Bedürfnisse befriedigt.
Digital First Media, das Unternehmen dessen 800 Nachrichtenprodukte unterschiedlichsten Plattformen 67 Millionen Amerikaner erreichen, hat kürzlich erklärt, Millionen in datengetriebene Werkzeuge für besseres Targeting zu investieren. Redaktionen mit geringerem Budget nutzen Analyse-Werkzeugen wie Chartbeat, Omniture, GoSquared und Google Analytics, um nicht mehr nur Unique Visitors und Page Views zu zählen, sondern um weiterreichende Kennzahlen über das Nutzungsverhalten ihrer Zielgruppen zu erhalten: Von der Verweildauer bis zu weniger leicht quantifizierbaren Messungen von Engagement, Impact und Einfluss. In Verbindung mit dem Testen neuer Erlösströme hilft dies den Medienhäusern dabei, ihren wichtigsten Zielgruppensegmenten wertvollere Services zu bieten.
Um die Kernleserschaft zu stärken bzw. auszubauen, setzen führende Nachrichtenunternehmen außerdem vermehrt auf Digiratis, auf auf digital gewandte Journalisten mit starker Publikumsbindung. Der Erfolg dieser Strategie kann einiges verändern, wie die New York Times kürzlich erleben musste. Nate Silver, der die Wahlergebnisse in allen 50 Staaten der USA bei den letzten US-Wahlen korrekt vorhergesagt hat, wechselte kürzlich von der Times zu Disney. Disney hatte ihn für ABC News und ESPN abgeworben. Auch Times-Technologie-Kolumnist David Pogue wechselte, er wurde von Yahoo (!) abgeworben, als einer von vielen digitalen Stars, deren Marktwert in letzter Zeit enorm gestiegen ist. Das Time Magazine wiederum holte eine neue Generation aufstrebender “Digitalstars” an Bord, um den Spirit der technischen Innovation in eine Organisation zu bringen, die sich lange auf tiefgehende Nachrichtenanalyse und exklusive Berichterstattung verlassen hat.
Wenn Medienmogule in Nachrichten investieren, ist ihnen klar, dass Kosteneinsparungen im traditionellen Geschäft und Wachstumsstrategien zwei unterschiedliche paar Schuhe sind. Die Tycoons John Henry und Jeff Bezos haben kürzlich um 320 US-Dollar den Boston Globe bzw. die Washington Post gekauft. Beide haben Investitionen zur Verbesserung ihrer Nachrichtenprodukte versprochen. Ebay-Gründer Pierre Omidyar hat sich verpflichtet, mindestens 250 Millionen US-Dollar in den Aufbau einer Nachrichtenorganisation mit Fokus auf Accountability und investigativen Journalismus zu investieren. Damit setzt er seine Arbeit mit Civil Beat fort, einem innovativen News-Outlet in Honolulu, Hawaii.
An der lokalen Nachrichtenfront kämpfen tausende US-Sites weiterhin für Nachhaltigkeit. Wie gut sie gedeihen werden hängt unter anderem davon ab, wie erfolgreich sie die Stärke von Daten und Digirati nutzen können. Das ist deshalb so wichtig, weil User und Leser die Nachrichten auf immer mehr verschiedenen Kanälen, auf immer neue Arten konsumieren. In manchen Fällen gewinnen Newsapps mit Nischenberichterstattung Abonnenten. In anderen erweisen sich kreative Abo- und Mitgliedschaftsmodelle als erfolgreich. Wieder andere Nachrichtenunternehmen setzen bei einem Mix aus Erlösströmen an, die von Premium-Inhalten über Events und eBooks reichen.
Was vor uns liegt, ist eine neue Ära des Experimentierens, ein globales und digitales Nachrichtenlabor, mit dem Ziel, Nachhaltigkeit zu kreieren.
[i] Das Wort “Digirati” ist ein (englisches) Kompositum aus „digital“ und „literati“, und bezeichnet also (sinngemäß) die „digital Wohlbelesenen“ oder „digitale Elite“.