Newsonomics und die Kunst, mehr Zeug zu verkaufen

Es ist eine ökono­mi­sche Binsen­weis­heit: Wer mehr von seinem Produkt verkauft, macht damit auch mehr Geld. Aber es geht auch anders: Indem man auf Viel­falt von Produk­ten setzt. Smarte Medi­en­un­ter­neh­men verfol­gen diese Stra­te­gie bereits.

Es ist ein unum­kehr­ba­rer Trend: Dank digi­ta­ler Medien konsu­mie­ren wir mehr.

Unlängst wurde eine Studie veröf­fent­licht, die zeigt: Die mobile Nutzung von Smart­pho­nes und Tablets verdop­pelt die Zeit, die Ameri­ka­ner durch­schnitt­lich online sind. Amazon verweist darauf, dass Kindle-Besit­zer vier Mal soviele Bücher kaufen wie Konsu­men­ten, die nur Print-Exem­plare erwer­ben. Die Nutzung von Online-Videos stieg in den vergan­ge­nen sechs Jahren um 600 Prozent – und liegt jetzt bei einem Schnitt von über 200 Videos und über 22 Stun­den im Monat pro User.

Wir können diese Verän­de­rung in unse­rem Leben und im Leben der Medi­en­kon­su­men­ten erken­nen. Es sollte also nicht über­ra­schen, wenn das kommende Medien- und Verlags­ge­schäfts­mo­dell etwas grob so zusam­men­ge­fasst werden kann: Verkauft mehr Produkte!

Genau das ist es, was alle neuen Geschäfts­mo­delle — B2B Verlags­pro­dukte, digi­tale Nischen­pro­dukte, der wach­sende E‑Book-Verkauf, digi­tale Marke­tingser­vices, Event Marke­ting, Content Marke­ting Invest­ment und E‑Commerce Dienst­leis­tun­gen — mitein­an­der verbindet.

So offen­sicht­lich das auch klin­gen mag – für die Medi­en­welt ist das eine gewal­tige Botschaft: Redak­tio­nen, Jour­na­lis­ten, Verlags­mit­ar­bei­ter haben eine Zukunft. Wachs­tum ist möglich. Medien sind wich­tig. Der starke Rück­gang in den Umsät­zen in den vergan­ge­nen fünf Jahren hat zu einem großen Vertrau­ens­ver­lust geführt: Brau­chen Leser und Wirt­schaft das, was wir ihnen anbie­ten, über­haupt noch? Dieser Vertrau­ens­ver­lust aber hat die ökono­mi­schen Probleme nur verstärkt.

Wenn Jour­na­lis­ten daran glau­ben, dass das digi­tale Zeit­al­ter ihnen ermög­licht wich­ti­ger – und nicht unwich­ti­ger – für ihre Leser zu sein, könnte die revo­lu­tio­näre Stra­te­gie einer größe­ren Produkt­pa­lette an Fahrt gewin­nen. Unter­neh­men möch­ten immer mehr von ihren Produk­ten verkau­fen, aber für die heuti­gen Medi­en­un­ter­neh­men muss das neue Mantra lauten, Neues zu verkau­fen – neue Produkte, solche, die sie bis vor ein paar Jahren nicht in ihren Port­fo­lios hatten.

Ein Symptom für diesen Wandel ist die Paywall-Revo­lu­tion: die Beschrän­kung des digi­ta­len Zugangs bei mehr als 500 Zeitun­gen und Hunder­ten von Maga­zi­nen welt­weit. Sie zeigte die Bereit­schaft der Konsu­men­ten, Geld für digi­tale Medien und News-Produkte auszu­ge­ben. Vor drei Jahren schien das noch undenk­bar. Paywalls haben die Verlage gelehrt, dass ihre Kern­le­ser bereit sind für ihre Produkte mehr zu bezah­len; hohe, zwei­stel­lige Preis­er­hö­hun­gen für Zeitun­gen und Maga­zine haben nur wenige Prozent der Leser vertrie­ben. Mit diesem Wissen testen die Verlage nun, wofür ihre Leser noch bereit sind zu bezah­len und vergrö­ßern ihre Ange­bote für die Businesskunden.

Diese neue Stra­te­gie wird vor allem durch die Entwick­lun­gen bei zwei der wich­tigs­ten US-Zeitun­gen voran­ge­trie­ben: Der New York Times und der Washing­ton Post. Die Times wird bald ein paar neue Produkte präsen­tie­ren, die unter­schied­li­che Preise haben und ein Nischen­pu­bli­kum anspre­chen sollen. NY-Times-Chef Marc Thomp­son ist über­zeugt, dass er seinen Lesern neue Produkte auf der Grund­lage einer „Enga­ge­ment-Kurve“ verkau­fen kann. Von der Washing­ton Post werden wir wahr­schein­lich die Anwen­dung einer medien- und marke­ting­wirk­sa­men Stra­te­gie sehen, mit der Jeff Bezos, der neue Inha­ber der Washing­ton Post, bereits mehr als die Hälfte seines Amazon-Umsat­zes macht.

Für die Verle­ger bestand das Geschäfts­mo­dell die längste Zeit aus zwei Kompo­nen­ten: Werbung an Unter­neh­men zu verkau­fen; Zeitun­gen oder Maga­zine an Leser zu verkau­fen, entwe­der als Abo oder im Einzel­ver­kauf. Diese beiden Kompo­nen­ten sind bis heute domi­nant – aber es ist bemer­kens­wert, was sich sonst noch alles verkau­fen lässt.

2014 dürfte in dieser Hinsicht ein Wende­jahr werden, da eine Reihe von neuen Produk­ten lanciert werden – zusätz­lich zu den E‑Book-Produk­tio­nen, E‑Com­merce-Dienst­leis­tun­gen, Event Marke­ting, kosten­pflich­ti­gen Nischen­pro­dukte im Print- und Digi­tal­be­reich, die bereits verfüg­bar sind.

Es gibt ein sehr anschau­li­ches Torten-Diagramm von der Ameri­can News­pa­per Asso­cia­tion, in dem die jähr­li­chen Erlös­ströme von Zeitun­gen und Maga­zi­nen abge­bil­det sind. Darin ist deut­lich zu erken­nen, dass die „Erlös­torte“ aus viel mehr Torten­stü­cken als früher besteht.

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Noch gibt es kein Torten­dia­gramm für das Jahr 2013. Schon jetzt steht aber fest, dass das blaue Torten­stück, also die Einnah­men aus Anzei­gen in den Print­pro­duk­ten, noch klei­ner werden wird. Das gelbe Stück, der Vertriebs­er­lös — reader reve­nue, egal ob von Print- oder Digi­tal-Produk­ten, wird in diesem Jahr aufgrund von Paywalls noch etwas wach­sen. In den roten (Nischen­pro­dukte) und grünen (Neue Einnah­me­quel­len) Torten­stü­cken werden die wirk­li­chen Verän­de­run­gen stattfinden.

All das sind Versu­che und am Ende wird es nur wenige große Sieger geben. Doch darum geht es nicht vorran­gig. Wonach die Bran­che sucht, sind große Ideen, die in neue, erlös­brin­gende Produkte umge­wan­delt werden können — also das, was beispiels­weise die Mete­red Paywall geleis­tet hat.

Bemer­kens­wert ist auch die wach­sende Zahl dieser Versu­che sowie deren geogra­fi­sche Viel­falt. Sie erfor­dern Ausdauer, schnel­les Lernen und Anpas­sungs­fä­hig­keit – und wir wissen, dass diese Quali­tä­ten inner­halb der Verlags­bran­che oft nicht stark ausge­prägt sind. Dieje­ni­gen, die probie­ren, lernen und adap­tie­ren werden Erfolgs­mo­delle finden. Dann werden wir das „Folge-dem-Anfüh­rer-Verhal­ten“ beob­ach­ten können, eine altbe­kannte Eigen­schaft von Verla­gen. Derzeit gibt eine ganze Reihe von neuen Medi­en­ei­gen­tü­mern (Bezos, Buffet, Kush­ner, Henry etc.), die mit großem Nach­druck neue Fragen stel­len und sich Ergeb­nisse von ihren Inves­ti­tio­nen erwarten.

Nachrichtenprodukte

Den Vorstoß der New York Times bei Paywalls 2.0. soll­ten wir uns konkre­ter anse­hen: Aufgrund ihrer Erfolgs­bi­lanz bei der Paywall 1.0 und der daraus gezo­ge­nen Lehren — aus Unmen­gen an Daten kann abge­lei­tet werden, wofür Konsu­men­ten aller Voraus­sicht nach bezah­len werden — würden wir glau­ben, dass die Times den einen oder ande­ren Tref­fer landen wird. Bisher hat Mark Thomp­son etwa neue Food & Dining-Produkte und „need to know“ Kompi­la­tio­nen für Abon­nen­ten sowie ein Tablet-Maga­zin ange­kün­digt. Viele dieser neuen Produkte werden im April einge­führt. Sie werden sich zu zahl­rei­chen „semi-on-the-fly“ E‑Books auf den Times-Websites gesel­len. Und sollte “to snow­fall”  — benannt nach dem revo­lu­tio­nä­ren Digi­tal­pro­jekt Snow­fall der Times – tatsäch­lich ein eige­nes Voka­bel im News­room der NY-Times werden, dann ist zu erwar­ten, dass Multi­me­dia-Story­tel­ling zuneh­mend für neue Produkte in Form von “Premium”-Abos und/oder vermehr­ten digi­ta­len Einzel­ver­kauf einge­setzt wird.

Dieser Premium-Bereich wird bei der Finan­cial Times bereits genutzt. Deren Mehr­wert-Ange­bote für digi­tale Premium-Abos gene­rie­ren erheb­li­che Einnah­men, während hohe Kosten für Print­zu­stel­lun­gen wegfal­len. Und wenn dieses neue Geschäft gut greift, wird es ziem­lich sicher weitere abge­stufte Digi­tal-Abos mit exklu­si­vem Content, Apps und Veran­stal­tun­gen geben — zu einem safti­gen Aufschlag.

E‑Books, die mitt­ler­weile von etli­chen Zeitun­gen heraus­ge­ge­ben werden, erzie­len lang­sam Gewinne. Die meis­ten Verlage veröf­fent­li­chen nur ungern Zahlen. Einige unab­hän­gige Häuser berich­ten über posi­tive Ergeb­nisse, wie beispiels­weise “Finding Karla” — eine kana­di­sche Geschichte über die Jagd nach einem Seri­en­kil­ler, die angeb­lich mehr als 200.000 US-Dollar Umsatz und 65.000 Down­loads einge­bracht haben. Ist das ein brei­tes, mittel­fris­ti­ges Geschäfts­mo­dell oder die Suche nach eini­gen weni­gen großen Erfolgsprodukten?

Die Wieder­be­le­bung eins­ti­ger Nischen­pro­dukte im News­be­reich ist ein weite­rer Schwer­punkt, wie die Chicago Tribune’s Prin­ters Row — mit ersten Erfol­gen — für Buch­bei­la­gen zeigt.. Mit Mitglied­schaf­ten, Events u.v.m. ist es ein Bezahl-Produkt inner­halb eines Bezahl-Produk­tes. Dieses Modell für Zeitun­gen, die bereits auf Bezahl­mo­delle setzen, bietet große Verspre­chen für das Jahr 2014.

Neben B2C auf B2B-Kunden zu setzen, ist ein trag­fä­hi­ges Modell. Poli­tico Pro hat etwa durch den Verkauf rascher und tiefer­ge­hen­der Analy­sen und Nach­rich­ten für Expert_innen sein (wieder inte­grier­tes) Redak­ti­ons­per­so­nal stark aufge­stockt. Jetzt wird sich weisen, welche dieser Entwick­lun­gen bei ihrer jüngste Akqui­si­tion, Capi­tal New York, einge­setzt werden kann. GigaOM misst eine ähnlich rele­vante Bedeu­tung seinen „Rese­arch Products“ bei. Beide haben verstan­den, wie das Spiel geht: Neue Produkte zu verkau­fen, die auf dem ursprüng­li­chen News-Produkt basie­ren. Das hat große poten­ti­elle Auswir­kun­gen auf loka­ler und natio­na­ler Ebene. So bietet beispiels­weise der TV-Sender WRAL in North Caro­lina regio­nale Tech-News gegen Bezah­lung an.

In Europa haben News Corp und Axel Sprin­ger neue Wege gefun­den, um den alten Wert von Zeitun­gen mit der digi­ta­len Form zu verbin­den, indem sie Sport­pro­gramme – groß­teils Fußball-High­lights – mit Nach­rich­ten-Abon­ne­ments neu gebün­delt haben. Schibsted, das einst kleine norwe­gi­sche Unter­neh­men, das heute zu den Top-10 in der Nach­rich­ten­bran­che zählt, bewegt sich stark in Rich­tung bezahlte E‑Com­merce-Leis­tun­gen jegli­cher Art und redu­ziert damit gewal­tig die eigene Abhän­gig­keit von Nach­rich­ten. Auch das Fern­se­hen verkauft neue Arten digi­ta­ler Einzel­an­ge­bote: Probie­ren Sie doch einmal ein iBook auf dem man sich die Serie “The Bridge” von FX Network anse­hen kann – ein Vorbote zwei­spra­chi­ger, inter­ak­ti­ver Storytelling-Produkte.

Anzeigenprodukte

Werbung”, so wie wir sie kennen, ist diver­si­fi­zier­ter gewor­den. Ob Content-Vermark­tung, klas­si­sche Werbun­gen, Event-Marke­ting oder Video-Werbung: Verlage bewe­gen sich endlich weg vom Verkauf stan­dar­di­sier­ter Werbe­flä­chen. Der Bereich digi­ta­ler Dienst­leis­tun­gen ist hier­für beispiel­haft. Es geht darum, mehr Produkte an immer mehr Kunden zu verkau­fen — Website-Gestal­tung, SEO (Search Engine Opti­miz­a­tion), SEM (Search Engine Marke­ting), mobil, über Social-Media und mehr. Bis 2016 werden meiner Einschät­zung nach 10% aller Werbe­er­löse aus diesem Bereich stam­men und er hat das größte Poten­zial, mit Google und Face­book bei loka­len Werbe­ein­nah­men zu konkurrieren.

Dann gibt es noch Events als zusätz­li­che Produkte, mit denen sowohl bei Konsu­men­ten wie auch bei Werbe­kun­den neue Erlöse gene­riert werden können.

Wie können wir diesen Ansatz der vielen zusätz­li­chen Produkte erfas­sen? Jeff Bezos ’ Ankunft in unse­rer Bran­che ist wahr­schein­lich der beste Weg. Amazon hat kürz­lich sein neues­tes Kindle Fire einge­führt. Klar ist: Dabei geht es weni­ger um Hard­ware als um „mediale Dienst­leis­tung“, wie Bezos selbst meint. Es ist eine Stra­te­gie zum Aufbau von Bezie­hun­gen und zum Verkauf von mehr Produk­ten, wie sie Bezos seit mitt­ler­weile 18 Jahren anwendet.

Kombi­nie­ren Sie dieses Denken — Bindung zu den Konsu­men­ten aufbauen, sie grund­le­gend zufrie­den stel­len und ihnen dann mehr Produkte verkau­fen — mit den Initia­ti­ven im Redak­ti­ons- und Marke­ting-Bereich und schon steht der Fahr­plan. Amazon Prime-Käufer kaufen 40% mehr Produkte als durch­schnitt­li­che Amazon-Käufer. Über­tra­gen Sie diese Formel in die Verlags­welt und die Zukunft wird eine völlig andere sein.

Engli­sche Origi­nal­fas­sung zuerst veröf­fent­licht im „Nieman Jour­na­lism Lab“

Zum Autor: Ken Doctor ist Verfas­ser des Stan­dard­werks Newso­no­mics. Er ist Vete­ran analo­ger wie digi­ta­ler Medi­en­ent­wick­lung und inter­na­tio­nal gefrag­ter Bera­ter und Vortra­gen­der — und beob­ach­tet die Medi­en­land­schaft auf der Suche nach neuen Chan­cen und Busi­ness­mo­del­len. Ken hat lang­jäh­rige Praxis in der Entwick­lung von Medi­enst­ra­te­gien und Busi­ness­mo­del­len, unter ande­rem durch 21 Jahre bei Knight Ridder, dem zu dieser Zeit zweit­größ­ten Zeitungs­ver­lag der USA.