Daten, Digirati und die nächste Nachrichten-Ära

Die großen Verän­de­run­gen in den ameri­ka­ni­schen News­re­dak­tio­nen werden vor allem von Daten und Digi­rati[i] bestimmt. Nach­rich­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen erken­nen zuneh­mend, dass ein viel­schich­ti­ges und besse­res Daten­ver­ständ­nis der Nach­rich­ten-Commu­nity nötig ist, um Refor­men bei Content,  Service­leis­tun­gen und Geschäfts­mo­del­len umzu­set­zen. Damit das effek­tiv und effi­zi­ent vonstat­ten geht, bedarf es zukunfts­ori­en­tier­ter und tech­nisch versier­ter Digirati-Teams.

Ob große Zeitun­gen wie die Washing­ton Post, der Boston Globe und die New York Times oder auch neuere Nach­rich­ten­un­ter­neh­men wie die Texas Tribune, DNAinfo und Voice of San Diego – verschie­denste Ansätze zur Nach­hal­tig­keit der Unter­neh­men haben sich rund um diese Merk­male entwi­ckelt. Hunderte klei­ne­rer Medi­en­un­ter­neh­men ziehen ähnli­che Schlüsse, auch wenn ihr Ansatz ein ande­rer als jener der großen Medi­en­un­ter­neh­men. Egal ob groß oder klein, ob Fern­se­hen, Print, Digi­tal oder eine Kombi­na­tion aus Allem: Die Umset­zung von Refor­men bei den Geschäfts­mo­del­len erfor­dert in den Redak­tio­nen expe­ri­men­tel­les Mind­set ebenso wie eine visio­näre Führung, die zur Umset­zung lang­fris­ti­ger Verän­de­run­gen bereit ist, während doch viele nach schnel­len Repa­ra­tu­ren der herkömm­li­chen Modelle rufen.

Daten werden zuneh­mend als wich­tige Ressource in Nach­rich­ten­re­dak­tio­nen geschätzt. Viele Orga­ni­sa­tio­nen wie etwa die Texas Tribune zeich­nen sich dadurch aus, dass sie den Lesern verständ­li­che Daten präsen­tie­ren. Rund ein Drit­tel des online traf­fics von Tribune ist auf ihre Daten-Seiten zurück­zu­füh­ren, die alle mögli­chen Infos — von loka­len Gehäl­tern bis zu Land­kar­ten von Öl- und Gasfel­dern — bieten. Aber woraus Nach­rich­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen in Zukunft werden Kapi­tal schla­gen müssen, sind Daten­ban­ken, die darüber Auskunft geben, wie ihr Publi­kum mit ihren und ande­ren Inhal­ten und Services inter­agiert. Leser mit gezielt und sorg­fäl­tig auf ihre Bedürf­nisse abge­stimm­ten Inhal­ten und Services zu errei­chen, wird dazu beitra­gen, dass sowohl für Inhalte wie für Werbung höhere Erlöse gene­riert werden können. Konsu­men­ten zahlen für das, was am besten ihre Bedürf­nisse befriedigt.

Digi­tal First Media, das Unter­neh­men dessen 800 Nach­rich­ten­pro­dukte unter­schied­lichs­ten Platt­for­men 67 Millio­nen Ameri­ka­ner errei­chen, hat kürz­lich erklärt, Millio­nen in daten­ge­trie­bene Werk­zeuge für besse­res Targe­ting zu inves­tie­ren. Redak­tio­nen mit gerin­ge­rem Budget nutzen Analyse-Werk­zeu­gen wie Chart­beat, Omni­ture, GoSqua­red und Google Analy­tics, um nicht mehr nur Unique Visi­tors und Page Views zu zählen, sondern um weiter­rei­chende Kenn­zah­len über das Nutzungs­ver­hal­ten ihrer Ziel­grup­pen zu erhal­ten: Von der Verweil­dauer bis zu weni­ger leicht quan­ti­fi­zier­ba­ren Messun­gen von Enga­ge­ment, Impact und Einfluss. In Verbin­dung mit dem Testen neuer Erlös­ströme hilft dies den Medi­en­häu­sern dabei, ihren wich­tigs­ten Ziel­grup­pen­seg­men­ten wert­vol­lere Services zu bieten.

Um die Kern­le­ser­schaft zu stär­ken bzw. auszu­bauen, setzen führende Nach­rich­ten­un­ter­neh­men außer­dem vermehrt auf Digi­ra­tis, auf auf digi­tal gewandte Jour­na­lis­ten mit star­ker Publi­kums­bin­dung. Der Erfolg dieser Stra­te­gie kann eini­ges verän­dern, wie die New York Times kürz­lich erle­ben musste. Nate Silver, der die Wahl­er­geb­nisse in allen 50 Staa­ten der USA bei den letz­ten US-Wahlen korrekt vorher­ge­sagt hat, wech­selte kürz­lich von der Times zu Disney. Disney hatte ihn für ABC News und ESPN abge­wor­ben. Auch Times-Tech­no­lo­gie-Kolum­nist David Pogue wech­selte, er wurde von Yahoo (!) abge­wor­ben, als einer von vielen digi­ta­len Stars, deren Markt­wert in letz­ter Zeit enorm gestie­gen ist. Das Time Maga­zine wiederum holte eine neue Genera­tion aufstre­ben­der “Digi­tal­stars” an Bord, um den Spirit der tech­ni­schen Inno­va­tion in eine Orga­ni­sa­tion zu brin­gen, die sich lange auf tief­ge­hende Nach­rich­ten­ana­lyse und exklu­sive Bericht­erstat­tung verlas­sen hat.

Wenn Medi­en­mo­gule in Nach­rich­ten inves­tie­ren, ist ihnen klar, dass Kosten­ein­spa­run­gen im tradi­tio­nel­len Geschäft und  Wachs­tums­stra­te­gien zwei unter­schied­li­che paar Schuhe sind. Die Tycoons John Henry und Jeff Bezos haben kürz­lich um 320 US-Dollar den Boston Globe bzw. die Washing­ton Post gekauft. Beide haben Inves­ti­tio­nen zur Verbes­se­rung ihrer Nach­rich­ten­pro­dukte verspro­chen. Ebay-Grün­der Pierre Omidyar hat sich verpflich­tet, mindes­tens 250 Millio­nen US-Dollar in den Aufbau einer Nach­rich­ten­or­ga­ni­sa­tion mit Fokus auf Accoun­ta­bi­lity und inves­ti­ga­ti­ven Jour­na­lis­mus zu inves­tie­ren. Damit setzt er seine Arbeit mit Civil Beat fort, einem inno­va­ti­ven News-Outlet in Hono­lulu, Hawaii.

An der loka­len Nach­rich­ten­front kämp­fen tausende US-Sites weiter­hin für Nach­hal­tig­keit. Wie gut sie gedei­hen werden hängt unter ande­rem davon ab, wie erfolg­reich sie die Stärke von Daten und Digi­rati nutzen können. Das ist deshalb so wich­tig, weil User und Leser die Nach­rich­ten auf immer mehr verschie­de­nen Kanä­len, auf immer neue Arten konsu­mie­ren. In manchen Fällen gewin­nen News­apps mit Nischen­be­richt­erstat­tung Abon­nen­ten. In ande­ren erwei­sen sich krea­tive Abo- und Mitglied­schafts­mo­delle als erfolg­reich. Wieder andere Nach­rich­ten­un­ter­neh­men  setzen bei einem Mix aus Erlös­strö­men an, die von Premium-Inhal­ten über Events und eBooks reichen.

Was vor uns liegt, ist eine neue Ära des Expe­ri­men­tie­rens, ein globa­les und digi­ta­les Nach­rich­ten­la­bor, mit dem Ziel, Nach­hal­tig­keit zu kreieren.

 

[i] Das Wort “Digi­rati” ist ein (engli­sches) Kompo­si­tum aus „digi­tal“ und „lite­rati“, und bezeich­net also (sinn­ge­mäß) die „digi­tal Wohl­be­le­se­nen“ oder „digi­tale Elite“.